Musikvideoproduktion


Sigrid Gurie, Charles Boyer, Hedy Lamarr in "Algiers" (1938) von J. Cromwell
Sigrid Gurie, Charles Boyer, Hedy Lamarr in "Algiers" (1938) von J. Cromwell

Meine Liebe zum Jazz ist auf die Filme der Hollywood-Diven zurückzuführen: Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Judy Garland. Ihre Schönheit und Grazie faszinierten mich, Poster kleideten meine Wohnung. Ich sammelte Bilder und Bücher über das Phänomen „Diva“ und ihre Inszenierungen im Film. Dann stieß ich auf die Medien- und Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey und ihre Reflexion „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ aus dem Jahr 1975. Sie analysiert anhand psychoanalytischen Ansatzes den narrativen Hollywood-Film der 40/50er Jahre und stellt fest, dass Kinofilme von der Erotik männlicher Vorstellung codiert ist, dass die Sprache mit patriarchalen Formulierungen voll sind und dass erotische Vorlieben dadurch, gesellschaftlich genormt und konstruiert werden (könnten). Leinwandschönheiten erfüllen die „Schaulust“ und fördern sogar skopophillische Instinkte der Zusehenden, so Mulvey. Die Distanz im Kinosaal zur Leinwand wird durch die filmische Nähe zu den Figuren überwunden und so Sehnsucht mit Befriedigung getauscht. Frauen zogen derart die Aufmerksamkeit auf sich, schreibt Mulvey, dass sie sogar als Zerstörerinnen der Handlung galten, welche den männlichen Protagonisten eine Omnipotenz im Film verschaffte und die Frauenrollen zum Schauobjekt degradierte. Das kritisiert Mulvey aufs Schärfste:

 

 „Dadurch, dass sie [Filmproduzenten/Regisseure] mit Spannung spielen, die den Film als Gegenstand auszeichnen, der die Dimension der Zeit (Schnitt, Erzählung) und des Raumes (Veränderung der Distanz, Schnitt) kontrolliert, inaugurieren die filmischen Codes einen Blick, eine Welt und ein Objekt, die eine Illusion erzeugen, die auf den Maßstab des Verlangens zugeschnitten sind. Es sind diese filmischen Codes und ihre Beziehung zu formativen äußeren Strukturen, die zerstört werden müssen, bevor der gängige Kinofilm und die Lust, die er verschafft, herausgefordert werden können.“ [1]

 

Ein Anfang wäre, schreibt sie, den voyeuristischen Blick auf Frauen (im Film) zu zerstören!

 

Die Frage ist, mit welchen Mitteln sich heutzutage Künstlerinnen dem möglichen starren(den), sexualisierten Blick der Zuschauenden auf den weiblichen Körper entziehen und welche Bedeutung sie sich selbst zusprechen?

 

Mir begegneten drei Formen der audiovisuellen Gestaltung, die keine Werbung ist:

Mulvey selbst, versuchte mit dem Film „Riddles of the Sphinx“, von 1977 allen Fallstricken eines (den Frauenkörper) fetischisierenden Filmblicks zu entgehen. Eine lange, ungeschnittene Einstellung einer Stadtlandschaft, in der Protagonistinnen zu hören sind, aber regelmäßig von vorbeifahrenden Autos verdeckt werden, leitet diesen Film ein. Lange Zeit ist kein Körper und kein Gesicht von einer Frau deutlich zu erkennen. Dialoge werden nie in frontalen Nahaufnahmen gefilmt, Detailaufnahmen von Augen, Mund, Haut schließt Mulvey absichtlich aus.

Eine weitere Art den voyeuristischen Blick auf Frauenkörper zu zerstören ist die Videokunst. Für die Ausstellung „Micro Era - Videokunst aus China“ hat Lu Yang 2019 eine Installation angefertigt, die an die labyrinthischen Aufbauten von Comic-Cons erinnern. Die Künstlerin lockt die BetrachterInnen in Bilder-Welten einer Realität mit manipulierten Emotionen, für die symbolisch etwa die transkranielle Magnetstimulation steht. Glasobjekte zeigen dessen Simulation, dazu flimmern viele Bildschirme, auf denen genderneutrale Videospielfiguren dazu animieren, sie in ihre Levels zu begleiten. Kaum ein Mensch kann sich ihrer idealisiert-abstrakten Darstellung entziehen. BetrachterInnen tauchen fast automatisch ein, in die unendlichen Fraktale der digitalen Abbilder von Rollenklischees, Wissenschaftsglaube und posthumanen Lebensformen der individuellen „Manga-Character“. 

Die dritte Form, das Musikvideos hat ebenso großes Potenzial ZuschauerInnen in den Bann zu ziehen. Heute um so mehr! Manche Musikvideos verbreiten sich online virusartig über den ganzen Planeten und veranlassen, dass möglicherweise die halbe Menschheit dieses Video gesehen hat. Milliardenfach werden die Videos „geteilt“ und „geliked“, „geremaked“ und „gemash-up’t“. So richtete ich mein Hauptaugenmerk auf Musikvideos.

Lady Gaga zeigt sich im Musikvideo „Telephone“, aus dem Jahr 2010 mit über 342 Millionen Aufrufen, als eine ungenierte, extravagante, uneingezwängte Verbrecherin in einer Frauendominierten Welt. Sie zeigt sich fast nackt, eingehüllt in „Do not cross the border“- Absperrbändern in mitten muskelbepackter Bodybuilderinnen. Die Frau als sexualisiertes Objekt im Kampf um Selbstbestimmung und Gleichberechtigung ist das „bad girl“ der Gesellschaft in Lady Gaga’s Videos. Durch Mehrdeutigkeit, Symbole, Parodie, Metaphern und provokante Bilder gilt Lady Gaga als feministische Künstlerin, die sich divenhaft darstellt. Aber nicht im herkömmlichen Sinne sondern so, dass sie den Blick der Zuschauenden auf sich, als selbstbestimmte, sexuelle Frau in eine abstrakt-pansexuelle Filmrealität überzuführt und damit für Irritation sorgt.

Ziemlich gut gelungen ist es auch Lieselotte Burmann, mit LYSY und ihrem Video „Dach aus Glas“ von 2019. ZuschauerInnen sehen die Künstlerin, sich in der Natur bewegen und sehen gleichzeitig im Split-Screen die Objekte ihres Blickes im Detail. So schafft sie es von ihrem Körper abzulenken und den Zuschauenden durch sie hindurch, ihre Sicht auf die Dinge nachvollziehen zu lassen. Nicht, dass der Körper der Frau nie wieder sexuell wahrgenommen werden sollte. Er kann. Dabei aber niemals ohne Unterlass und niemals generell. Welche vielen künstlerischen Möglichkeiten es gibt stellt dieses Video dar. Leider sind Musikvideos prädestiniert dafür, Frauen als ein stummes, sich räkelndes Schauobjekt darzustellen. So ist es um so wichtiger, dass Künstlerinnen versuchen ein Gegengewicht herzustellen und Mulvey damit zu zuspielen, damit keine weiteren patriarchalen Codes in die Köpfe der Gesellschaft programmiert oder zum Vorbild werden und die Norm eines Verhaltens der Frauen zu werden scheint.

Das zweite Beispiel für eine anti-sexualisierte Darstellung ist, die vietnamesische Künstlerin Suboi in ihrem Video „N-SAO?“. Mit der Frage „Warum nicht?!“ besetzt sie sogenannte „männliche Räume“: die Nacht, die Streetbar, die Straße auf Motorrädern, Hip-Hop. Durch eine lautstarke, gerappte Sprache rebelliert sie gegen die Annahme Single-Frauen seien Verrückte und Frauen, die sich nachts in Bars befinden sind Prostituierte. Während es für Männer in Saigon alltägliche Praxen sind, zahlen Frauen dafür Strafgelder und werden stigmatisiert.

Tanya Tagaq, eine kanadische Folk-Sängerin beherrscht nicht nur den Inuit-Kehlkopf-Gesang, sondern zeigt in ihrem Video „Retribution“ die Verwandlung einer Frau in ein Schamanenwesen. Der Frauenkörper wird zu einem Medium, welcher unabhängig von Konventionen handeln und existieren kann. Ungewöhnliche Sounds und Bewegungen betonen das und erreichen die vollkommene Freiheit des weiblichen Körpers, dem neue Bedeutungen in diesem Moment zugeschrieben werden können. Das tranceähnliche Verhalten von Tagaq innerhalb eines indigenen Rituals ist entkoppelt von sexualisierter Realität und den Zuschreibungen aus Hollywood-Filmen.

Diese drei Musikvideo-Beispiele stehen der Idee von Mulvey („Riddles of the Sphinx“) in Nichts nach. Mehr sogar, sie erreichen eine Vielzahl von Menschen über die aktuell sehr beliebten Abspielplattformen des Internets. So reicht manchmal nur eine einzelne Bildkomposition aus, um normierte Geschlechterzuschreibungen und Schönheitsideale in Frage zu stellen.

 Beyoncé tat dies im Video zu „Apeshit“, in dem sie vor Leonardo Da Vinci‘s Gemälde der Mona Lisa im Musée du Louvre neben ihrem Mann Jay-Z posiert. Was ist Schönheit? Was ist wertvoll? Wie sollte sich eine afroamerikanische Frau verhalten? Wer Macht hat darf was? All diese Fragen stellt Beyoncé damit in den öffentlichen Diskurs und legt damit das Fundament für eine Veränderung und Grenzverschiebung. Die Stärke dieses Videos beruht auf dem was es initiiert hat. Es brachte starken Aktionismus hervor. Denn eine Apeshit-Challenge-Welle brach aus, wobei Louvre-BesucherInnen Beyoncé’s Tanzszenen tagtäglich imitieren und ins Internet stellen. Beyoncé’s Intention wird so immer wieder am Ort des Geschehens an die Oberfläche gebracht, um neu verhandelt zu werden. Es ist schlichtweg eine hoch wirkungsvolle Art audiovisu­ell frauenrechtlerisch Forderungen zu stellen!

Ein Musikvideo, was den sexualisierten Blick auf die Frau nun also abwendet und dem Zuschauenden die voyeuristische Schaulust auf den weiblichen Körper entzieht, vereint all diese Aspekte der genannten Künstlerinnen. Nämlich:

 

1.     Sich den Codierungen der Produzenten bewusst sein

2.   Das Internet als weltweite Plattform nutzen

3.   Bedeutungsvorschläge, weit entfernt von den sexualisierten bieten

4.   Künstlerische Freiheit nutzen und anspruchsvolle Techniken einsetzen

5.   Mit Intertextualität verschiedene Deutungsmöglichkeiten entfachen und diese gegebenenfalls tief aus dem Unbewussten kommend an die Oberfläche ziehen

6.   Eine laute, direkte Sprache benutzen, die weiblich ist und patriarchale Formulierungen zu genderneutralen oder matriarchalen umformt

7.   Männlich dominierte Räume weiblich besetzen

8.   Zu möglichst vielen öffentlichen Diskursen anregen, um eine politische oder bildende Maßnahme zu sein

9.   Diversitäten abbilden

Ein, von mir angefertigtes Musikvideo, welches die neun Punkte allesamt beachtet, bebildert das Lied „Glu“, aus dem Jahr 2017, von der norwegischen Künstlerin Sofie Tollefsbøl, genannt FIEH. [2] Sie schrieb das Lied an einem Tag, an dem ihr viele alte Männer sagten, was sie tun müsste um erfolgreich zu sein. [3] Es gab kein offizielles Musikvideo zu diesem Zeitpunkt, außer ein paar wenige Live-Aufnahmen dieses Liedes. Eine Live-Aufnahme der Londoner Produktion Mahogany Records „FIEH - Glu | Mahogany Session“ [4] wurde meine Schnitt-Basis, obwohl sie langsamer war als das Lied im Original, was ich verwenden wollte. Für mich war das Zeigen der Künstlerin sehr wichtig, da Musikvideos oft eine erweiterte Identität der Band darstellen. Zudem wurde mir klar, dass ich bei ausschließlichem Verwenden von Archivmaterial Gefahr laufe, das Format des Musikvideos zu verlassen und als Kurzfilm mit Musikunterlegung zu gelten. Mein Anliegen Aufnahmen der singenden Fieh und Making-Off-Szenen alter Hollywood-Filme zu mischen, begann sich mit dem erfolgreichen Recherchierens des Backstage-Materials „Hollywood - The Golden Years“,  der David L. Wolper Productions [5] von 1961 zu verwirklichen.

 

 

Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines voll besetzten Kinosaals und der Blick auf die Leinwand sollte der Anfang meines Musikvideos zu „Glu“ sein. Musik setzt ein. Eine laufende Kamera, auf den Zuschauer gerichtet, entfernt sich allmählich. Es zeigt sich der ungewohnte Blick eines distanzlosen Kameramannes auf die, sich normalerweise in Sicherheit wiegenden Zuschauenden. Nach Mulvey ist die voyeuristische Neugier, Grundbestandteil des Vergnügens am Kino. Dieses wird normalerweise durch den professionellen und distanzlosen Kamerablick, inklusive all der Werkzeuge für eine gelungene Inszenierung stimuliert und in Spannung gehalten. Die sichtbare Präsenz der Kamera auf ihrem Stativ, zerstört die gewohnte Illusion und macht ein „Eintauchen“ in die Emotionalität des Film fast unmöglich. Dennoch konstruiert das Gehirn unbewusst, trotz zufällig ausgewählter Bilder, kausale Handlungszusammenhänge, allein durch die unmittelbare Aneinanderreihung von Bildersequenzen. Ich nutzte den sogenannten Kuleschov-Effekt um den Zuschauenden trotz aller Zerstörung Unterhaltung durch ihr eigenes Unbewusstes zu bieten. Der Titel stellt Fieh und die Stars des Stummfilms vor. Die Künstlerin singt:

 

Old ways, they might fade, but they're sticky like glue.
Young girls ways - no, you don't know you, don't you?!
All these old men can not tell me what to do, ohohoho.

 

Jedes einzelne Wort der Textzeilen wird lippensynchron eingeblendet, so dass es Gehörlosen ebenso möglich ist Rhythmus zu erfahren. Nebenbei lenkt es den Blick des Zuschauenden auf das gesungene Wort und weg von dem ausschließlichen Anstarren des weiblichen Körpers. Das Gesicht der Sängerin im Profil gefilmt, ist viel zu dunkel, um es genau zu erkennen. Die nahe Kameraeinstellung entfernt sich langsam ins Halbnahe. Langsam ist eine junge Frau mit hochgebundenen Haaren und einem weiten, gelbfarbenen Kapuzenpullover zu erkennen. Ein harter Schnitt zeigt wieder Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines Regisseurs und kurbelnden Kameramannes inmitten einer Stummfilmproduktion. Eine Schauspielerin kommt hinzu, der Regisseur steht auf und berichtigt sie. Fieh, die Sängerin steht an einer Wand, immer noch unterbelichtet und singt…

 

Thinking all night ‘cause the doubt is sticky too.
Yes, I got a thousand references, sir, just like you!
All these old men can not tell me what to do, ohohoho.

 

Gezeigt werden Bilder, eines weiteren Sets, eine Schauspielerin als Nonnenfigur, ein sich nähernder Blick einer ernst schauenden Frau und eine Diskussionsszene einer Schauspielerin mit einem Regisseur, der sie verspottend zum Singen und Tanzen animiert. Dies lässt die Dame sich nicht gefallen und holt zum Schlag aus. Ein aufblitzender Effekt erinnert an Szenen aus Comicheften. (Von körperlicher Gewalt, an Männern sowie an Frauen als eine Form Konflikte zu lösen, möchte ich mich an dieser Stelle trotz Darstellung ohne Ausnahme distanzieren.) Das gezeigte Miteinanderarbeiten von Regisseuren und Schauspielerinnen soll auf das gestörte Vertrauensverhältnis in der Film- und Arbeitswelt hindeuten. Ein regelmäßiges Ausnutzen von Männern in Machtpositionen fand in dem Hashtag #MeToo Gehör und so auch in diesem Video Platz, gepaart mit Mulveys Kritik, an der Art der Darstellung der Frau im Hollywood-Film und dem männlichen Blick, der alles dominiert.

 

Fieh tänzelt zu Funk-Drums, der groovigen Bassline und samtigen Trompeten des Refrains durch den Raum, der sich als Snoocer-Raum offenbart und „zum Einlochen“ bereitsteht. Ein eher männlich-besetzter Raum im Realen, so wie Kneipen und Bars in Western-Filmen auch ohne Frauenrollen auskamen. Ein reitender Stummfilmschauspieler auf einer Pferdeattrappe suggeriert, dass Cowboyfilme Teil einer großen Illusion waren. Es folgt eine weitere Regieanweisung eines Mannes, der eine Darstellerin von einer Ecke des Raumes in die andere führt. Eine Geisha blickt den Zuschauenden vollkommen unbewegt, einen Spiegel haltend, an, während im Hintergrund an ihren Haaren herumgezupft wird. Ebenso lässt sich eine weitere Darstellerin eine Kette von einem im Smoking gekleideten, lüsternen Mann umlegen. Sie scheint alles andere als begeistert sich von ihm berühren zu lassen. Fieh wiederholt die Textzeile:

 

Old ways, they might fade, but they're sticky like glue.
Young girls ways - no, you don't know you, don't you?!
All these old men can not tell me what to do, ohohoho.

 

Eine Golfspielerin und bekannte Filmproduzentin der 30er Jahre holt erfolgreich zum Schlag aus, trifft den Ball bevor ein Mann vor ihr stehend, spielen konnte. Er dreht sich entrüstest um, sie bekundet ihr Missgeschick mit einer Handgeste, vor ihm abgeschlagen zu haben. Es symbolisiert, dass Frauen den Männern in Machtpositionen nicht vorauseilen dürfen, ohne missbilligt zu werden. Footballspielerinnen am Strand fallen über einen Ball her, um sich dann in großem Haufen lachender Frauen zu befinden. Es soll die Verachtung an Frauenleistungssport andeuten, die immer noch nicht gleichberechtigt bezahlt und beachtet wird. Es folgt eine Tortenschlacht, die frühere Filme als eine Art Highlight beinhielten und hier auf die „Politik des Bezeichnens“ und die „Schlammschlacht über die Deutungsmacht“ anspielt.

 

Um die Sängerin Fieh herum kreist nun eine weiß leuchtende Animation. Es folgt eine einzelne Frau an einem Konferenztisch in Verhandlungsgesprächen mit Filmoligarchen. Ein schwarz-weiß-gestreift gekleideter, getriebener Verbrecher entwischt Polizisten, in dem er sich an eine Häuserwand stellt und so übersehen wird. Im Zeitraffer laufen die Gesetzeshüter einem fahrenden Auto hinterher, auf das sie mit Mühe aufspringen. Dieser Klamauk mit ausschließlich männlichen Figuren war im Film allgegenwärtig. Eine Frau angehalten durch einen fast Schulter hohen Gartenzaun bestätigt es mit kräftigem Kopfnicken. Fieh tanzt nun zwischen ihrer vierköpfigen Band und einem Snoocer-Tisch mit der ringförmigen Animation um ihre Schultern, die sich vergrößert und in den Raum ausbreitet bis sie in den Schwarz-Weiß-Filmen hineinstrahlt und dort eine Frau in ihrer Wohnung überrascht. Männer nun plötzlich zärtlich und behutsam dargestellt laufen davon, da sie bemerken, dass es vielleicht etwas mit den unbekannten leuchtenden Animationen um die Frauen herum zu tun hat. Frauen die selbstbestimmt leben wollen, haben oft Schwierigkeiten Teil patriarchaler Strukturen zu sein. Sie schließen sich eher feministischen Denkströmungen an.

 

Fieh klatscht zum Rhythmus in die Hände und signalisiert Frauen animieren zu wollen unabhängig von Männern zu leben. Eine Filmproduzentin inmitten einer Frauengruppe deutet an, dass es auf Zuspruch in weiblichen Gemeinschaften stößt. Mädchenhaftes Angsthaben gehört zum Leben einer Frau dazu, aber den „Schutz des starken Mannes“, das „Rumkommandierenlassen“ soll ein Ende zu haben. Frauen küssen sich in aller Öffentlichkeit, schon damals. Fieh singt:

 

I have been listening and watching from my room.
Cook and stir, yes, I keep it in the womb.
Young girls I gave birth and now I watch it boom.

 

Kurz: Sie wird „aus ihrem Kämmerchen“ nicht mehr zusehen und ausschließlich als gebärfähig gehalten werden können, um dann daran zu zerbrechen. Eine Küchenszene zeigt Charlie Chaplin, der mit Gemüse Späße macht, anstatt beim Kochen zu helfen. Junge Frauen rollen darüber jetzt die Augen, nehmen Männer nicht allzu ernst und zeigen sich selbstbestimmt. Eine Art Rückblick folgt, in dem Frauen nackte Haut zeigen mussten, bestätigt die These Laura Mulveys. Filmische, weibliche Darstellungen reichen über Rollen der Stripperin, der lasziv Tanzenden, über die Hure bis zur tollpatschigen Frau, für die Männer zum Anschauen Geld bezahlen. Dieses Bild gehört zerstört, wie Mulvey sagt. Es müssen andere Frauenbilder, Körperformen, -darstellungen und Rollenzuweisungen her, um ausreichend Gegengewicht zu dem schon existierenden Filmmaterial herzustellen.

 

Denn so tanzen die Frauen ganz freiwillig, aus Freude auf dem Tisch und nicht wegen der Schaulust der Männer. Ein letztes Mal werden die leuchtenden Animationsringe gezeigt, die ebenso jetzt aus Grammophonen und Plattenspielern strömen. Frauen bedienen diese Gerätschaften begeistert, während die Männer daneben, nur skeptisch und mit ernster Miene zustimmen. Frauen haben eine Stimme! Und der Stummfilm einen Ton, welchen die ZuschauerInnen ihr erstes Mal im vollen Kinosaal erleben. Es erklärt in gewisser Weise die Anfangsszene und macht das ganze Video zu einem Loop. So wie es ein wiederkehrender Akt ist, Thematiken ansprechen und in den öffentlichen Diskurs bringen zu müssen, die sexistisch, frauenfeindlich oder menschenverachtend sind und verboten gehören.

 

Fieh ist sich im Klaren, dass sie selbst Teil eines Massenmediums ist, was Musikvideos am laufenden Band produziert, um gemocht und gekauft zu werden. Sie aber, zeigt sich aufgeschlossen dafür, ihre Stimme als Künstlerin frauenrechtlerisch einzusetzen und war prädestiniert für dieses Projekt und die Annäherung an Medienwissenschaftlerin Laura Mulvey. Mulvey selbst hat nie Musikvideos produziert, untersucht heute Filme entlang historischer Analysen der Kategorien Stillstand und Bewegung bzw. Tod und Leben.

 

 

 

Bibliografie

 

Literatur

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Cliff, Aimee. „The debut single from Norwegian band Fieh will bring you some Vitamin D“. The Fader Magazine. New York. 2017. (https://www.thefader.com/2017/12/12/fieh-glu). Stand: 10.02.2020.

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Hall, Stuart. “Kodieren/ Dekodieren”. In: Bromley, Roger (Hg.). Culture Studies: Grundlagentexte zur Einführung. Klampen Verlag. Lüneburg. 1999 (1). S.92-110.

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Maier, Carla. “Sound Cultures“. In: Postcolonial Studies Meets Media Studies. Transcript, Bielefeld. 2016. S.179-196

Mulvey, Laura. Visuelle Lust und narratives Kino“. In: Weissberg, Liliane (Hg.). Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt am Main: Fischer, 1994, S. 48–65.

Railton, Diane. Watson, Paul. “Genre and Music Video: configurations and functions”. In: Music Video and the Politics of Representation. Edinburgh University Press. Edinburgh. 2011. S.41-65.

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Musik

Tollefsbøl, Sofie. „Glu“. Universal Music/ A Decca Records. 2019. (https://www.fiehmusic.com/)

 

Video/Film

„Afrita Hanem“ (Arabic: عفريتة هانم, English: Little Miss Devil). Oriental Production. 1949. (https://ia801305.us.archive.org/29/items/1AfritaHanemEnglishSubs/2AfritaHanemnoSubs.mp4). Stand: 10.02.2020.

 „FIEH - Glu | Mahogany Session“. Mahogany Records. 2019. (https://www.youtube.com/watch?v=FasNFZBB-aQ). Stand: 10.02.2020.

 „Hollywood - The Golden Years“. David L. Wolper Productions. 1961. (https://ia801300.us.archive.org/4/items/hollywoodthegoldenyears/hollywoodthegoldenyearsreel1.mp4, https://ia801300.us.archive.org/4/items/hollywoodthegoldenyears/holly-woodthegoldenyearsreel2.mp4). Stand: 10.02.2020.

„License Stock Footage - Japan“. Periscope Film. 2015. (https://ia800109.us.archive.org/24/items/60204bKeystonePicturesqueJapanMos/60204b%20Keystone%20Picturesque%20Japan_mos.mov). Stand: 10.02.2020.

„License Stock Footage - NFP, 1925 Studio Tour. Periscope Film. 2015. (https://ia800708.us.archive.org/14/items/623641925StudioTourMos/62364%2B1925%2BStudio%2BTour_mos.mov). Stand: 10.02.2020.

„Sheree North‘s Tiger Dance“. Unbekannt. 1950. (https://archive.org/details/ShereeTigerD). Stand: 10.02.2020.


[1] Mulvey, Laura. Visuelle Lust und narratives Kino“. In: Weissberg, Liliane (Hg.). Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt am Main: Fischer, 1994, S. 64.

[2] Götsch, Karolin. „FIEH - Glu (Laura Mulvey Editing Remix)“. kali.go. 2019. (https://youtu.be/IEZr 0KXACmg). Stand:10.02.2020

[3] Cliff, Aimee. „The debut single from Norwegian band Fieh will bring you some Vitamin D“. The Fader Magazine. New York. 2017. (https://www.thefader.com/2017/12/12/fieh-glu). Stand:10.02.2020

[4] „FIEH - Glu | Mahogany Session“. Mahogany Records. 2019. (https://www.youtube.com/ watch?v=FasNFZBB-aQ). Stand:10.02.2020